Oder: Reise in die Zweite Liga
Ich muss es offen zugeben: ich bin heilfroh, dass mich mein Vater damals trotz anderweitiger Fußballinteressen trotzdem zu meinem ersten Spiel in das Westfalenstadion mitgenommen hat. Irgendwann gegen Ende einer Saison, in der für Borussia weder nach Oben noch nach Unten in der Tabelle noch groß Spielraum war und zu der auch das spielarme 1:1 an diesem besagten Tag passte. In Erinnerung blieb mir noch das Debüt eines jungen Martin Amedick, der gleichzeitig auch sein erstes Tor per Kopf nach einer Ecke erzielte, und dieses einzigartige Gefühl, hier richtig zu sein. Hier, in diesem Stadion, hatte ich meinen Verein gefunden.
Man stelle sich einmal vor, was hätte passieren können. Ich hätte, wie mein Vater, mein Leben auch mit der grauen Maus aus der Nachbarstadt verbringen können, hätte mich dieser Verein aus der Bierhauptstadt nicht an diesem Tag so begeistern können. Und während aus der Bierhauptstadt in meinen ersten Jahren „auffer Süd“ auch wieder die Fußballhauptstadt wurde, zogen andere in meinem Alter mit Fürth, Paderborn oder – Gott bewahre – Sandhausen durch die Republik.
In diese Kategorie passte in meinem Fußballweltbild auch immer Union Berlin. Immer charmant der Reiz als Erstligist einmal das doch schmucke Stadion zu besuchen, doch sich Woche für Woche mit Aue oder Heidenheim zu messen, erschien mir nicht gerade attraktiv. Umso erstaunter waren wohl alle, als dieser Verein es dennoch zu dieser Spielzeit irgendwie in die erste Liga geschafft hatte.
Und so stellte sich in unserer Gruppe auch schnell ein ähnliches Gefühl wie schon zum Spiel in Köln ein. Schön, dass man diesen Verein besuchen darf! Dass sich das Ganze als Reise in die Zweite Liga für – hoffentlich nur – einen Tag entpuppte, konnten wir bei den Vorbereitungen nur erahnen.
Zweitklassig ist beim ersten Blick auf jeden Fall die Stadionkapazität. Trotz reichlich Tradition und der speziellen Geschichte, dass die Unioner ihr Zuhause quasi selbst per Hand gebaut haben, stellte uns das knappe Gästekontingent vor einige organisatorische Hürden und es war reichlich Einfallsreichtum gefragt, sodass sich zumindest knappe 15 Mitglieder unserer Gruppe auf den Weg in die Hauptstadt machen konnten.
Aus den BUS-BORUSSEN wurden zu dieser Fahrt die ZUG-BORUSSEN und man bestieg am frühen Samstagmorgen den (natürlich zweitklassigen) Wagon des Flixtrains. Schnell hatte man sich in zwei schönen Retro-Sechserabteilen ausgebreitet und legte mit guter Musik und den ersten Kaltgetränken den Grundstein für eine erfolgreiche Auswärtsfahrt.
Der Toleranz unseres persönlichen Zugbegleiters mit dem zweitklassigen Namen Eddy sei es gedankt, dass wir erst in Kamen dem Zug verwiesen werden sollten. Aber durch einige Bestechungsversuche und den unvergleichlichen Charme unseres Tanzbeauftragten Sven konnten wir auch die letzten Meter an Board bis Berlin zurücklegen.
Dort angekommen verstaute man schnell die Klamotten in den Bahnhofsschließfächern, traf einige anderweitig angereiste Mitglieder und machte sich auf den Weg in die auserkorene Kneipe zur Spieltagsvorbereitung. Natürlich war es ausschließlich der Zweitklassigkeit der einheimischen Verkehrsbetriebe geschuldet, dass die eigentlich nur zehnminütige Fahrt dorthin multiple Umstiege und knappe eineinhalb Stunden in Anspruch nahm. Es gibt halt nur einen echten BVB.
Bei warmen Wetter soll man viel trinken, und so machte sich die Reisegruppe reichlich beschwingt auf den Weg Richtung Köpenick. Gut, dass man sich vorher mit reichlich Proviant eingedeckt hatte, sollte die Fahrt nochmals eine gute Stunde in Anspruch nehmen. Gefühlt ist man nach einer Stunde Zugfahrt von Dortmund aus schon in Holland und demnach fühlte es sich wie Polen an, als wir nach zig Haltestellen den schmucklosen Vorortbahnhof im Berliner Speckgürtel erreichten.
Hier dann der nächste Beleg der natürlichen Zweitklassigkeit des Heimvereins, fand man doch in der recht gut sortierten Einkaufsstraße außerhalb des Bahnhofs alles, was das Herz begehrte, außer natürlich ein Fußballstadion. Aber Dank der digitalen Revolution und der eingepackten Wander-Sneaker erreichte man nur semi-durchgeschwitzt die Alte Försterei. Beim Betreten des Gästebereichs konnten sich die einzelnen Mitglieder nun selbst zur gelungenen Spieltagsvorbereitung auf die Schultern klopfen, hatte man doch alle Register gezogen, um dem angebotenen zweitklassigen und obendrein noch alkoholfreien Bier aus dem Weg gehen zu können.
Die Minuten bis zum Anpfiff verbrachte man mit allerlei Jux und Dollerei und der eine oder andere nutzte die Zeit für eine kurze Augenentspannung. Zu Beginn zeigte die Heimkurve eine doch etwas mehr als zweitklassige Choreo und auch unser ausgewählte Anhang startete motiviert in die Begegnung.
Von aller Zweitklassigkeit des Umfelds ließen sich aber wohl auch unsere Jungs auf dem Platz anstecken, brachte man doch wie ein Sportwagen ohne Traktionskontrolle die mitgebrachten PS nicht auf den Rasen. So passte es ins Bild, dass die zweit(klassig)e Berliner Mannschaft nach einer Ecke tatsächlich die Führung markieren konnte.
Ein Zustand, der Dank der eingebauten Torgarantie von Paco zum Glück nur wenige Zeigerumdrehungen anhielt, konnte unser doch eigentlich immer recht unscheinbare Spanier seine beeindruckende Quote weiter ausbauen. Es ist und bleibt erstaunlich, wie das Duo Watzke/Zorc nun seit über zehn Jahren regelmäßig einen absoluten Topstürmer nach Dortmund locken kann, den nebenbei meist nie jemand richtig auf dem Schirm hat.
Der Ausgleich schien nun den Anhang aus der Hauptstadt-Peripherie zu nötigen, der Partie etwas mehr Dampf zu verpassen, versuchte man doch zunächst über das Stadiondach den Gästeblock zu erreichen, nur um sich im Anschluss im Schattenboxen mit einer Plexiglas-Scheibe zu messen.
Eigentlich eine nette Anekdote zum Schmunzeln, fühlten die Bediensteten der Staatsmacht nun nicht auch ein Jucken in den Fingern und gaben ihrem natürlichen Verlangen nach Befriedung der Situation nach. Ein paar deeskalierende Dosen Pfefferspray und ein paar beruhigende Schwünge des Schlagstocks führten dazu, dass alle ruhig und gesittet auf ihre Plätze zurückkehrten oder sich auf ein Wasser an den Verpflegungsständen trafen. Schön zu sehen, dass die Beamten das Zweitliga-Niveau halten konnten und jeden anwesenden Steuerzahler mit Respekt und Stolz erfüllten.
So ging man mit reichlich Gesprächsstoff in die Halbzeit, hatte sich aber schnell wieder gefangen, zeigte unser Anhang doch, wer hier wirklich Feuer hatte, versuchte man doch reichlich Licht ins Dunkle des Dortmunder Spiels zu bringen und die Kampfbereitschaft der Mannschaft anzufachen.
Diese hatte sich aber bereits komplett in Liga Zwei abgemeldet und so ist die zweite Hälfte schnell abgehandelt. Ein schneller Angriff nach Ballverlust und erneut ein Eckball brachten das schlussendliche 3:1 und eine doch euphorisch feiernde Heimkurve sowie einen um Haltung und einen guten Auftritt bemühten Gästeblock.
Schnell wollte man sich zumindest örtlich aus der Zweitklassigkeit verabschieden, packte die sieben Sachen und die angeschlagenen Kollegen ein und machte sich auf den Weg Richtung Hauptbahnhof. Leider erreichten die kommunikativen Fähigkeiten des zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung eingestellten Personals leider nur das Level der zweiten Klasse der Köpenicker Grundschule und so kam es, dass man sich nach kurzer Straßenbahnfahrt als Gruppe inmitten der feiernden Unionern am Bahnsteig direkt hinter der Heimkurve wiederfand. Ob nun die DDR-Meisterschaft oder der FDGB-Pokal bejubelt wurde, konnte allerdings keiner der Anwesenden mit Sicherheit beantworten und so konnte die Reisegruppe durch Geschlossenheit und Durchsetzungsstärke schnell die Zweite Klasse der örtlichen Vorortbahn in Richtung Metropole Berlin besteigen.
Am Hauptbahnhof angekommen deckte man sich erneut mit Speis und Trank für den Heimweg ein und bestieg zügig den bereitgestellten ICE Richtung Heimat. Und mit dem ersten Kontakt mit dem Zugpersonal wurde allen bewusst, dass man sich endlich auf dem Weg zurück in die erste Liga befand, stellte man uns doch für uns und unsere Musikbox ein eigenes Abteil zur Verfügung. Angelockt von freudigen Lauten einiger mehr oder minder bekannter Musikpoeten, gesellten sich schnell alte und neue Bekannte zur Feiergesellschaft und so verbrachte man eine kurzweilige Reise durch die Nacht, bis man am frühen Morgen das heimische Westfalen erreichte und gegen halb sieben endlich ins wohlverdiente Bett fiel.
Abschließend ein Gruß Richtung Regierungssitz:
Schön, dass ihr da wart, jetzt könnt ihr wieder absteigen!